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grow! Magazin

Die Gefahren des Cannabiskonsums im Vergleich zu Tabak und Alkohol – Teil I

Authors
Franjo Grotenhermen

Krebs umfasst eine Gruppe von Erkrankungen, die mit einem veränderten Zellwachstum und der Möglichkeit, in andere Teile des Körpers einzudringen oder zu wandern, verbunden sind. Nicht alle Tumoren sind bösartig. Es gibt auch gutartige Tumoren, die nicht in andere Teile des Körpers eindringen, zum Beispiel Basaliome der Haut.

Es gibt über 100 verschiedene Krebsarten beim Menschen. Unbehandelt führen sie zum Tode. Die Heilungschancen bei verschiedenen Krebsarten variieren erheblich. Bei den meisten Krebsarten des Blutes (Leukämie, Lymphome) sind die Heilungschancen sehr gut, während diese bei anderen Krebserkrankungen, wie beispielsweise Bauchspeicheldrüsenkrebs, extrem schlecht sind. Daher unterscheidet sich die Anzahl der Krebsfälle erheblich von den Todesfällen durch bestimmte Krebsarten.

Die Angaben zu Krebs durch Tabak und Alkohol in diesem Artikel basieren vor allem auf einer Übersicht von Dr. Yuan-Chin Amy Lee und Prof. Mia Hashibe vom Huntsman Krebsinstitut der Universität von Salt Lake City (USA) (Lee & Hashibe 2014).

Die Häufigkeit von Krebs

Nach großen Untersuchungen wurden im Jahr 2008 etwa 12,7 Millionen Krebsfälle weltweit diagnostiziert (Jemal & Bray 2011). Im Jahr 2010 starben etwa 8 Millionen Menschen daran (Lozano et al. 2012). Krebs ist weltweit jährlich für etwa 13 % aller Todesfälle verantwortlich. Zum Vergleich: im gleichen Jahr starben etwa 12,9 Millionen an Herzerkrankungen oder Schlaganfall, 1,3 Millionen an Diabetes, 1,5 Millionen an HIV/Aids, 1,2 Millionen an Malaria und 1,2 Millionen an Tuberkulose. 

Dabei steht Lungenkrebs mit 1,4 Millionen Todesfällen an der Spitze, gefolgt von Magenkrebs mit 740.000 Todesfällen, Leberkrebs mit 700.000, Dickdarmkrebs mit 610.000 und Brustkrebs mit 460.000 Todesfällen (WHO 2010). In den hoch entwickelten Ländern Europas und Nordamerikas ist Krebs die häufigste Todesursache.

Ursachen für Krebs

Die Mehrzahl aller Krebsfälle beruht auf Umweltfaktoren, darunter unser Lebensstil, unser Verhalten und Umweltverschmutzung. Daneben gibt es auch genetische Ursachen. Die häufigsten Umweltfaktoren sind Tabakkonsum (25-30 % aller Krebsfälle), Ernährung und Übergewicht (30-35 % aller Krebsfälle), Infektionen (15-20 %), Strahlung, beispielsweise Sonnenstrahlung und radioaktive Strahlung (bis zu 10 %), mangelnde Bewegung, Stress und Umweltgifte.

Meistens ist es nicht möglich, den Krebs einer bestimmten Person auf bestimmte Faktoren zurückzuführen, weil die meisten Krebsarten mehrere mögliche Ursachen haben. So ist es beispielsweise nahe liegend, dass der Lungenkrebs eines starken Tabakrauchers eben auf diesen Tabakkonsum zurückzuführen ist, es können aber auch andere Ursachen, wie Luftverschmutzung oder Strahlung eine Rolle gespielt haben. 

Tabak

Tabakrauchen verursacht 90 % aller Fälle von Lungenkrebs (Biesalski et al. 1998). Tabak verursacht auch Krebs des Kehlkopfes, des Kopfes, des Nackens, des Magens, der Blase, der Nieren, der Speiseröhre und der Bauchspeicheldrüse (Biesalski et al. 1998). Tabakrauch enthält über 50 verschiedene Krebs verursachende Substanzen, darunter Nitrosamine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. Tabak ist für etwa ein Drittel aller Krebstodesfälle in der entwickelten Welt verantwortlich und für etwa ein Fünftel aller Todesfälle durch Krebs weltweit.

Das Rauchen von Tabakzigaretten erhöht das Risiko für die Entwicklung von Lungenkrebs um das 15- bis 30-fache (Lee & Hashibe 2014). Das Risiko für Kehlkopfkrebs wird um das 10-fache, das Risiko für Mund- und Rachenkrebs um das 4- bis 5-fache, das Risiko für Speiseröhrenkrebs um das 1,5- bis 5-fache, das Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs um das 4-fache sowie die Risiken für Magen-, Leber-, Nieren- und Gebärmutterhalskrebs um das 1,5- bis 2,5-fache erhöht. Auch das Leukämie-Risiko wird und das 1,5- bis 2,5-fache erhöht.

Insgesamt wird geschätzt, dass das Rauchen von Tabak für 23 % aller Todesfälle durch Krebs verantwortlich ist, für 29 % in den hoch entwickelten Ländern und für 18 % in weniger entwickelten Ländern. Tabakrauchen ist für 42 % aller Todesfälle durch Mund- und Rachenkrebs, 42 % aller Todesfälle durch Speiseröhrenkrebs und 70 % aller Todesfälle durch Luftröhren-, Bronchien-und Lungenkrebs verantwortlich. Die Anteile der Todesfälle für Magenkrebs sind 13 %, für Leberkrebs 14 %, für Bauchspeicheldrüsenkrebs 22 %, für Blasenkrebs 28 %, für Leukämie 9 % und für Gebärmutterhalskrebs 2 %.

Alkohol

In Westeuropa sind etwa 10 % aller Krebsfälle bei Männern auf Alkohol zurückzuführen, bei Frauen sind es etwa 3 % (Schütze et al. 2011). Jedes Jahr werden etwa 4,6 Millionen Krebsfälle diagnostiziert, die auf den Konsum von Alkohol zurückgeführt werden. In entwickelten Ländern sind es schätzungsweise etwa 1,9 Millionen und in weniger entwickelten Ländern 2,8 Millionen Alcohol bezogene Krebsfälle (Lee & Hashibe 2014). Etwa 30 % aller Krebsfälle des Mundes und Rachens werden bei Männern auf Alkohol zurückgeführt. Bei Frauen sind es etwa 11 %. Für Speiseröhrenkrebs betragen die Anteile für Männer und Frauen zusammen 18,5 %, für Dickdarmkrebs 3 %, für Leberkrebs 9 %, für Kehlkopfkrebs 23 % und für weiblichen Brustkrebs 4,5 %.

Die Häufigkeit des Alkoholkonsums variiert erheblich in Abhängigkeit von der geographischen Lage und dem Geschlecht. In einigen osteuropäischen Ländern liegt der durchschnittliche Alkoholkonsum 2,5 mal höher als der weltweite Durchschnitt von etwa 6,2 l reinen Alkohols pro Person und Jahr. Daher trägt der Alkoholkonsum zu einem großen Anteil aller Krebsarten in Europa, insbesondere Mittel- und Osteuropa, aber auch in Amerika, der Südhälfte Afrikas und Ostasien bei. Die niedrigsten Konsumsraten finden sich in Afrika, insbesondere Nordafrika, und dem östlichen Mittelmeerraum. Etwa 55 % aller Männer konsumieren Alkohol, im Durchschnitt etwa 21 g pro Tag. Bei den Frauen sind es 34 % und 6 g pro Tag.

Etwa 16 % aller Todesfälle durch Mund- und Rachenkrebs werden auf Alkohol zurückgeführt, darunter 33 % in den hoch entwickelten Ländern und 14 % in den weniger entwickelten Ländern). Für Todesfälle durch Krebs der Speiseröhre wird Alkohol in 26 % verantwortlich gemacht. Für Todesfälle durch Leberkrebs beträgt der Anteil 25 % und für Brustkrebs 5 %.

Cannabis und Lungenerkrankungen

Der bekannteste Forscher zum Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Erkrankungen der Atemwege ist Prof. Donald Tashkin von der Universität von Kalifornien in Los Angeles. In einem Kapitel für eines meiner Bücher schrieb er noch im Jahr 2004: „Die Zusammensetzung des Marihuanarauches ähnelt zumindest qualitativ der von Tabak, mit dem wichtigsten Unterschied, dass Marihuanarauch Δ9-THC und etwa 60 weitere Cannabinoidverbindungen enthält, die nicht im Tabak vorkommen, und dass Tabak das nicht im Marihuana vorkommende Nikotin enthält. Von vielen Inhaltsstoffen, die Marihuana- und Tabakrauch gemeinsam haben, ist bekannt, dass sie toxisch für respiratorisches Gewebe sind. Diese toxischen Verbindungen umfassen Hydrozyansäure, Stickstoffoxide, Akrolein, reaktive Aldehyde und verschiedene bekannte Karzinogene. Es ist daher vernünftig zu erwarten, dass die wiederholte Inhalation der schädlichen Substanzen im Marihuanarauch die langzeitigen unerwünschten Effekte auf die Lunge haben kann, die bei regelmäßigen Tabakkonsumenten beobachtet wurden“ (Tashkin 2004).

Tatsächlich können regelmäßige Cannabiskonsumenten auch unter einer chronischen Bronchitis leiden, während die heutige Studienlage für andere Erkrankungen der Atemwege eher darauf hindeuten, dass das Rauchen von Cannabis bei weitem nicht so gefährlich ist wie das Rauchen von Tabak. 

Cannabis und chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

Cannabis beeinträchtigt nicht die Lungenfunktion - zumindest nicht in Dosen, die von den meisten Konsumenten inhaliert werden. Dies ist das Ergebnis der größten und längsten Studie, die jemals zu diesem Thema durchgeführt wurde (Pletcher et al. 2012). Die Forscher führten dabei in einem Zeitraum von 20 Jahren zwischen 1985 und 2006 bei 5115 Männern und Frauen wiederholte Lungenfunktiontests durch. "Gelegentlicher und niedrig kumulativer Marihuanakonsum war nicht mit Nebenwirkungen auf die Lungenfunktion assoziiert", fassten die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Die Forscher fanden, dass Parameter der Lungenfunktion - forciertes expiratorisches Volumen in der ersten Sekunde der Ausatmung und forcierte Vitalkapazität - sich sogar leicht verbesserten, wenn junge Leute angaben, Cannabis zu rauchen. "Es ist unwahrscheinlich, dass Cannabis zu einem höheren Risiko für eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung oder COPD führt, wie dies beim Tabakrauchen der Fall ist", kommentierte Prof. Tashkin diese Ergebnisse gegenüber der Presseagentur Reuters.

Cannabisrauchen und Krebs

In einer Analyse aller bisher vorliegenden Studien mit insgesamt 2159 Lungenkrebsfällen zum Thema Cannabisrauchen und Krebsentstehung des Internationalen Lungenkrebs-Konsortiums fanden die Wissenschaftler keine Unterschiede beim Lungenkrebsrisiko zwischen regelmäßigen oder gelegentlichen Konsumenten. Ich bzw. Nichtkonsumenten von Cannabis (Zhang et al. 2015). In ihrer Schlussfolgerung heißt es: „Ergebnisse unserer gepoulten Analysen ergeben wenig Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Lungenkrebs bei gewohnheitsmäßigen oder langzeitigen Cannabisrauchern, auch wenn die Möglichkeit möglicher schädlicher Wirkungen bei starkem Konsum nicht ausgeschlossen werden kann.“ 

Nach der größten bisher durchgeführten Fall-Kontroll-Studie von Prof. Tashkin und seinen Kollegen, die 2006 unter der Beteiligung von Prof. Hashibe veröffentlicht wurde, ist selbst starkes langzeitiges Cannabisrauchen nicht mit Lungenkrebs und anderen Krebsarten des oberen Verdauungs- und Atemtraktes assoziiert (Hashibe et al. 2006). Die Studie schloss 1209 Einwohner von Los Angeles im Alter zwischen 18 und 59 Jahren, die an Krebs (611 Lunge, 403 Mund/Rachen, 90 Kehlkopf und 108 Speiseröhre) litten, ein. Die Krebskranken wurden mit 1040 krebsfreien Kontrollpersonen verglichen. Verglichen mit Personen, die Cannabis in geringem Umfang konsumiert hatten, betrug das Risiko für Lungenkrebs 0,78, für mäßig starke Konsumenten 0,74, für starke Konsumenten 0,85 und für sehr starke Konsumenten 0,81. Ein Risiko unter 1,0 bedeutet, dass das Risiko für Cannabiskonsumenten etwas geringer war als für Nichtkonsumenten. Ähnliche Ergebnisse wurden für die anderen Krebsarten gefunden. Es gab keine Dosis-Wirkungsbeziehung, was bedeutet, dass es kein erhöhtes Risiko für stärkere Konsumenten gab. 

Schlussfolgerung

Während Tabak- und Alkoholkonsum erhebliche Risikofaktoren für die Krebsentstehung darstellen, ist dies beim Cannabiskonsum offenbar nicht der Fall. Die Ergebnisse in den Cannabisstudien, die in einem starken Kontrast zu dem erheblich erhöhten Krebsrisiko durch das Rauchen von Tabak stehen, werden auf die krebshemmenden Eigenschaften des THC zurückgeführt. Dieser krebshemmende Effekt ist offenbar so stark, dass er das Vorliegen vieler krebsauslösender Substanzen im Cannabisrauch mehr als kompensiert. 

→ Teil II: Auswirkungen auf Schwangerschaft und Gesundheit des Neugeborenen

Literatur:

Biesalski HK, Bueno de Mesquita B, Chesson A, Chytil F, Grimble R, Hermus RJ, Köhrle J, Lotan R, Norpoth K, Pastorino U, Thurnham D. European Consensus Statement on Lung Cancer: risk factors and prevention. Lung Cancer Panel. CA Cancer J Clin 1998;48(3):167-76.

Hashibe M, Morgenstern H, Cui Y, Tashkin DP, Zhang ZF, Cozen W, Mack TM, Greenland S. Marijuana use and the risk of lung and upper aerodigestive tract cancers: results of a population-based case-control study. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2006;15(10):1829-34.

Jemal A, Bray F, Center MM, Ferlay J, Ward E, Forman D. Global cancer statistics. CA Cancer J Clin 2011;61(2):69-90.

Lee YC, Hashibe M. Tobacco, alcohol, and cancer in low and high income countries. Ann Glob Health 2014;80(5):378-83.

Lozano R, et al. Global and regional mortality from 235 causes of death for 20 age groups in 1990  and 2010: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2010. Lancet 2012;380(9859):2095-128.

Pletcher MJ, Vittinghoff E, Kalhan R, Richman J, Safford M, Sidney S, Lin F, Kertesz S. Association between marijuana exposure and pulmonary function over 20 years. JAMA 2012;307(2):173-81.

Schütze M, et al. Alcohol attributable burden of incidence of cancer in eight European countries based on results from prospective cohort study. BMJ 2011;342:d1584. 

Tashkin DP. Respiratorische Risiken des Marihuanarauchens. In: Grotenhermen F, Hrsg. Cannabis und Cannabinoide. Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potential. Göttingen: Hans Huber, 2001 (1. Aufl.), 2004 (2. erweiterte und ergänzte Ausgabe).

WHO . Cancer. World Health Organization. 2010. Zitiert nach der englischen Version von Wikipedia unter dem Stichwort "Cancer". Ich

Zhang LR, et al. Cannabis smoking and lung cancer risk: Pooled analysis in the International Lung  Cancer Consortium.  Int J Cancer 2015;136(4):894-903.