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grow! Magazin

Die optimale „Aktivierung“ von Cannabinoiden durch Erhitzung

Authors
Franjo Grotenhermen

Nur das so genannte phenolische THC verursacht die bekannten cannabistypischen psychischen Wirkungen. In der Hanfpflanze liegen die Cannabinoide jedoch überwiegend als so genannte Carboxylsäuren vor. Zur Umwandlung der THC-Carboxylsäuren (THCA) in das phenolische THC (THC) eignet sich vor allem die Erhitzung durch das Rauchen der Pflanzenteile, die Inhalation mittels eines Verdampfers (Vaporizer) sowie die Erhitzung im Backofen oder langzeitige Erhitzung im kochenden Wasserbad.

Findet keine ausreichende Erhitzung statt, so ist die Decarboxylierung unvollständig. Wird zu lange bei hohen Temperaturen erhitzt, dann werden Cannabinoide weiter zu unwirksamen Substanzen oxidiert. Um optimale Ergebnisse zu erzielen, müssen Temperatur und Zeit der Erhitzung gut gewählt werden.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass auch die Carboxylsäuren der Cannabinoide einige interessante therapeutische Effekte aufweisen. Beispielsweise hemmt nicht nur CBD, sondern auch CBDA (Cannabidiol-Säure) Übelkeit und Erbrechen. Nicht nur THC, sondern auch THCA (THC-Säure) wirkt entzündungshemmend. Für die meisten therapeutisch nutzbaren Wirkungen werden allerdings die phenolischen Cannabinoide benötigt, sodass es sich lohnt, sich mit diesem Thema zu befassen, um eine optimale und damit kostengünstigste Ausbeute des eigenen Pflanzenmaterials für die Therapie zu erzielen.

Decarboxylierung: was ist das?

Cannabinoide liegen in der Hanfpflanze überwiegend als so genannte Carboxylsäuren vor – in unseren mitteleuropäischen Breiten zu mehr als 90 Prozent. Durch Erhitzung werden die beiden THC-Säuren (THCA) in phenolisches THC und die CBD-Carboxylsäure (CBDA) in phenolisches CBD umgewandelt. Dieser Vorgang, bei dem ein Kohlendioxid-Molekül von der Säure abgespalten wird, wird Decarboxylierung genannt. Grundsätzlich gilt: bei hohen Temperaturen reichen wenige Sekunden, bei niedrigen sind Stunden erforderlich.

Haschisch aus heißen Gegenden der Erde enthält häufig bereits hohe Anteile – bis zu 50 Prozent und mehr – an phenolischen Cannabinoiden. Dies ist der Grund, warum gegessenes Haschisch auch ohne Erhitzung oft psychische Wirkungen verursacht.

Was sind die optimalen Bedingungen zur Decarboxylierung?

Professor Brenneisen von der Universität Bern (Schweiz), hatte bereits in den achtziger Jahren festgestellt, dass bei einer 5-minütigen Erhitzung von THC auf 190 °C eine vollständige Decarboxylierung stattfindet, ohne dass eine weitere Oxidation eintritt. Im Jahr 2013 stellte er auf einem Kongress der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente (IACM) eine Studie zur Decarboxylierung von THC und CBD bei der Verwendung von Verdampfern (Vaporizern) vor. Bei einer Temperatur von 210 °C wurden vier verschiedene Vaporizer getestet, die sowohl THCA als auch CBDA fast vollständig zur Decarboxylierung brachten, beide Substanzen zu mehr als 98 Prozent innerhalb weniger Sekunden.

Patente des britischen Unternehmens GW Pharmaceuticals geben Aufschluss über optimale Decarboxylierungsbedingungen bei niedrigeren Temperaturen. Mit den vorgeschlagenen Verfahren sollen 95 Prozent der sauren Cannabinoide in ihre phenolischen Formen umgewandelt und gleichzeitig der oxidative Abbau von THC zum wenig wirksamen CBN (Cannabinol) auf maximal 10 Prozent begrenzt werden. Danach sollte die Decarboxylierung vorzugsweise in 2 Schritten durchgeführt werden: Im 1. Schritt wird das Pflanzenmaterial für einen relativ kurzen Zeitraum auf eine erste Temperatur erhitzt, um Restwasser zum Verdampfen zu bringen und eine einheitliche Erhitzung des Pflanzenmaterials zu ermöglichen. Im 2. Schritt wird das Pflanzenmaterial für einen längeren Zeitraum erhitzt.

Vorzugsweise soll der erste Schritt zur Umwandlung von THCA in THC über einen Zeitraum von 10-20 Minuten bei einer Temperatur im Bereich von 100 °C bis 110 °C durchgeführt werden. Im zweiten Schritt soll das Pflanzenmaterial für etwa 60-120 Minuten auf 100 °C bis 110 °C erhitzt werden. Bei diesen Temperaturen bleiben auch viele Terpene, die für den Geruch und den Geschmack und einige pharmakologische Effekte von Cannabis verantwortlich sind, erhalten. Soll CBDA in das neutrale CBD umgewandelt werden, so werden für die 2. Phase 120 °C für die Dauer von 60 Minuten angegeben. Das so erhitzte Pflanzenmaterial kann dann weiterverarbeitet werden. 

Häufige Ursachen für ein nicht optimales Ergebnis

Grundsätzlich gibt es drei mögliche Quellen für eine suboptimale Decarboxylierung von Cannabinoiden.

Zu kurze Erhitzung bei zu geringer Temperatur

Wenn sie bei einer bestimmten Temperatur nicht ausreichend lange erhitzt werden, wird nur ein Teil zu phenolischen Cannabinoiden decarboxyliert und ein anderer Teil liegt weiterhin in der sauren Form vor.

Zu lange Erhitzung bei zu großer Temperatur

Wenn THC bzw. Cannabis allerdings zu lange bei einer bestimmten Temperatur erhitzt werden, dann wird THC weiter zu dem pharmakologisch nur sehr gering wirksamen Cannabinol (CBN) und weiter zu unwirksamen Substanzen oxidiert. Auch andere Cannabinoide werden weiter zu unwirksamen Substanzen oxidiert.

Verdampfung und Verflüchtigung der Cannabinoide

Zudem verdampfen Cannabinoide ab einer bestimmten Temperatur, sodass ein ungeschicktes Vorgehen zu einem Cannabinoidverlust durch Verdampfung und Entweichen in die Luft führen kann. Die Verdampfung von THC beginnt bei 157 °C. Für CBD werden unterschiedliche Verdampfungstemperaturen zwischen 130 und 180 °C angegeben.

So wurde in einer Studie die höchste Konzentration für phenolisches THC bei einer Temperatur von 145 °C nach 7 Minuten erzielt, nach 40-minütiger Erhitzung auf diese Temperatur war jedoch die Hälfte des phenolischen THC weiter abgebaut.

Optimale Zubereitungen und Einnahmeformen

Es ist nicht erforderlich, die optimalen Bedingungen für Temperaturen und die Zeiträume der Erhitzung zu erfüllen, jedoch gibt es gut und weniger gut geeignete Zubereitungen.

Erhitzung im Backofen

Es kommt nicht darauf an, dass die von GW Pharmaceuticals vorgeschlagene Prozedur in 2 Schritten exakt befolgt wird. Man kann auch ein sehr gutes Ergebnis erreichen, wenn man gleichmäßig eine bestimmte Temperatur wählt. So wird man beispielsweise ein recht gutes Ergebnis erwarten dürfen, wenn man Cannabis für ein bis zwei Stunden auf 100 bis 110 °C im Backofen erhitzt.

Dieses Material kann dann nach Belieben weiterverwendet werden. Es können alkoholische Extrakte hergestellt werden. Das getrocknete Material kann in einen Joghurt gerührt werden, oder es können Kapseln mit exakt abgewogenen Cannabismengen gefüllt werden.

Öliger Extrakt

Es ergibt sich auch eine gute Möglichkeit einer einfachen Herstellung eines Extraktes im Bereich des Siedepunkts von Wasser. Bei 100 °C sollte das Pflanzenmaterial für eine Zeitdauer von ein bis zwei Stunden erhitzt werden. Dies ist beispielsweise bei der Herstellung eines Cannabis-Olivenölextrakts umsetzbar. Dabei können einige Gramm Cannabisblüten in etwas Olivenöl oder ein anderes Öl gegeben werden, das dann in einem kochenden Wasserbad für ein bis zwei Stunden erhitzt wird. Die Cannabinoide und Terpene gelangen aus der Pflanze in das Öl und werden gleichzeitig decarboxyliert. Bei dieser Temperatur vermeidet man nicht nur die Verdampfung von Cannabinoiden, sondern auch der meisten Terpene, die überwiegend auch erst über 100 °C verdampfen. Eines der bekanntesten, therapeutisch bedeutsamen und am höchsten konzentrierten Terpene der Hanfpflanze, das Beta-Caryophyllen, verdampft Beispielsweise erst bei 260-261 °C.

Rauchen oder Verdampfen

Beim Rauchen einer Cannabiszigarette entstehen im Bereich der Glut Temperaturen zwischen 500 und 800 °C. Diese Temperaturen reichen aus, um innerhalb kürzester Zeit eine vollständige Decarboxylierung zu erzielen. Bei der Verwendung eines Verdampfers (Vaporizer) sollte darauf geachtet werden, dass die Temperatur nicht zu niedrig eingestellt wird. Bei 210 °C scheinen ebenfalls wenige Sekunden auszureichen, um eine gute Decarboxylierung zu erzielen. Bei geringeren Temperaturen muss man davon ausgehen, dass die Umwandlung unvollständig ist.

Nicht optimale Zubereitungsformen

Viele populäre Zubereitungsformen sind nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Decarboxylierung nicht optimal. Man kann die Zubereitungen aber durch geeignetes Vorgehen noch verbessern.

Teezubereitungen

Eine Erhitzung von 5 bis 10 Minuten auf 100 °C, wie sie bei der Zubereitung eines Cannabis-Tees erfolgt, führt nach Untersuchungen an der Universität Leiden nur zu einer sehr unvollständigen Decarboxylierung der Cannabinoide und daher nur zu einer geringen Ausbeute. Eine Optimierungsmöglichkeit bestünde in der Herstellung eines so genannten Dekokts, bei der die Cannabisblüten deutlich länger in Wasser gekocht werden als bei einer normalen Teezubereitung. Noch besser wäre es, die Cannabisblüten zuvor im Backofen zu decarboxylieren und dann einen Tee daraus zuzubereiten, dem man etwas Sahne zusetzt, damit die kaum wasserlöslichen Cannabinoide sich gut im Getränk lösen.

Haschischöl und Cannabisöl

Bei der Herstellung von Haschischöl, einem konzentrierten Cannabisextrakt, beispielsweise mit Äthanol (Alkohol), werden nur vergleichsweise niedrige Temperaturen erzielt, da Äthanol bereits bei etwa 80 °C verdampft. Dadurch kann keine optimale Decarboxylierung erzielt werden. Die bevorzugte Art und Weise der Herstellung von Haschischöl bzw. Cannabisöl stellt daher keine optimale Verwendung des Pflanzenmaterials dar. Selbstverständlich ist ein Haschischöl mit einem THC-Gehalt von 50 % dennoch sehr wirksam, auch wenn keine optimale Decarboxylierung stattgefunden hat. Schließlich wird ein relevanter Anteil des THC als phenolisches THC vorliegen. Eine noch bessere Ausbeute und Wirksamkeit ließe sich nach den vorhandenen wissenschaftlichen Daten erzielen, wenn vor der Herstellung von Haschischöl/Cannabisöl eine Decarboxylierung des Pflanzenmaterials im Backofen, wie oben beschrieben, durchgeführt würde.

Backwaren

Bei der Herstellung von Gebäck mit Haschisch oder zerbröseltem Pflanzenmaterial gibt es ein grundsätzliches Problem. Die Backwaren haben häufig während der Herstellung im Innern und an der Oberfläche keine gleichmäßige Temperatur. Man darf davon ausgehen, dass das Gebäck während des Backvorgangs an der Oberfläche ungefähr die Temperatur des Ofens aufweist. Solange im Inneren noch Feuchtigkeit besteht, kann die Temperatur nicht über die Siedetemperatur von Wasser (100 °C) ansteigen. Optimal wären Backwaren, die unterhalb der Verdampfungstemperatur von THC und CBD, also bei nicht mehr als 150 °C gebacken werden und relativ schnell weitgehend wasserfrei, also knackig und trocken, sind, sodass das gesamte Gebäck sehr schnell die Backtemperatur homogen annimmt.

Schlussfolgerung

Die in den vergangenen Jahren durchgeführten Untersuchungen zur optimalen Decarboxylierung von Cannabinoiden sind hilfreich für die Entwicklung optimaler Zubereitungsformen und zur Optimierung bekannter Zubereitungen, sei es oral oder inhalativ. Wer seine Cannabisblüten immer einheitlich verarbeitet, kann darüber hinaus eine gute Standardisierung und damit gute Reproduzierbarkeit der Wirkungen auch bei oraler Einnahme erzielen.