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Herausgeber
Hanfjournal

Cannabiskonsumstörungen, Cannabisabhängigkeit, Cannabismissbrauch, schädlicher Konsum – Was ist das?

Authors
Franjo Grotenhermen

Die meisten Ärzte haben nach meiner bisherigen Erfahrung nur geringe Kenntnisse von Definitionen für Cannabiskonsumstörungen. Dies steht in einem deutlichen Kontrast zu der Freigebigkeit, mit der solche Diagnosen an Menschen, die Cannabis konsumieren verteilt werden. Viele meiner Patienten, die Cannabis aus therapeutischen Gründen verwenden, haben daher mindestens einmal in ihrem Leben eine solche Diagnose erhalten, selbst dann, wenn diese Diagnose ganz offensichtlich unzutreffend war. Das ist sowohl ein Armutszeugnis für meine ärztlichen Kollegen als auch ein Zeichen schamlosen ärztlichen Machtmissbrauchs.

Klassifikationssysteme für psychische Erkrankungen

In Deutschland und vielen anderen Ländern werden Erkrankungen im Allgemeinen nach dem so genannten ICD-10 (10. Ausgabe der International Classification of Diseases der Weltgesundheitsorganisation) eingeteilt und definiert. Zu diesen Erkrankungen zählen auch die Cannabisabhängigkeit und der schädliche Gebrauch von Cannabis. Den Begriff Cannabismissbrauch gibt es im ICD-10 nicht. Manchmal wird für psychiatrische Erkrankungen auch ein anderes Klassifikationssystem, der DSM-IV (4. Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der Psychiatrischen Gesellschaft der USA) verwendet. Im DSM-IV gibt es die Diagnosen Cannabisabhängigkeit und Cannabismissbrauch. Im Mai 2013 wurde in den USA die 5. Ausgabe des DSM veröffentlicht und erschien im Dezember 2014 auch in einer deutschen Übersetzung. Im DSM-5 wurden die Begriffe Cannabisabhängigkeit und Cannabismissbrauch zu einem Begriff, dem der Cannabiskonsumstörungen mit 3 Schweregraden (leicht, moderat, stark) zusammengefasst.

Definitionen für Cannabisabhängigkeit

Nach den Leitlinien für den ICD-10 müssen mindestens 3 von 6 Merkmalen (siehe Tabelle) vorliegen. Das Hauptmerkmal des Abhängigkeitssyndroms nach ICD-10 ist "der starke Wunsch oder Zwang, die Substanz zu konsumieren". Dieser Wunsch oder Zwang ist allerdings nur dann ein Zeichen für Abhängigkeit, wenn sie nicht medizinisch berechtigt sind, weil sie mit dem Wunsch verbunden sind, Schmerzen, Depressionen oder andere Symptome zu lindern. Nach den Kriterien des ICD-10 (und des DSM-IV) liegt bei Patienten in der Regel keine Cannabisabhängigkeit vor.

Tabelle. Kriterien nach ICD-10 (International Classification of Diseases) für das Vorliegen eines Abhängigkeitssyndroms. Abhängigkeit liegt vor, wenn drei der sechs Kriterien während des letzten Jahres vorlagen.

Abhängigkeit nach ICD-10

(1) Starker Wunsch oder Zwang, die Substanz zu konsumieren

(2) Mangelnde Kontrolle, was Beginn, Beendigung und Menge des Gebrauchs angeht

(3) körperliches Entzugssyndrom

(4) Toleranz

(5) Vernachlässigung anderer Interessen und mehr Zeitaufwand für die Beschaffung und den Konsum der Substanz und die Erholung von den Folgen

(6) Der Substanzgebrauch hält an, obwohl schädliche Folgen eintreten, deren sich der Konsument bewusst ist, z.B. Leberschaden durch Alkohol.

Schädlicher Gebrauch von Cannabis nach ICD-10

Ein schädlicher Gebrauch nach ICD-10 ist ein "Muster von Substanzgebrauch, das eine körperliche oder psychische Gesundheitsschädigung bewirkt". Häufig werde der Substanzkonsum von anderen (wie zum Beispiel den Eltern oder dem Partner) kritisiert und ziehe "negative soziale Folgen nach sich". Dies sei "jedoch kein Beweis für das Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs". In der Tat hinge die Frage des schädlichen Gebrauchs dann mehr von der Meinung anderer Personen aus dem Umfeld des Konsumenten über Cannabis als von den tatsächlichen Auswirkungen auf den Cannabiskonsumenten ab.

Cannabiskonsumstörungen nach DSM-5

Eine Cannabiskonsumstörung ist nach DSM-5 "ein problematisches Cannabiskonsum-Muster, das zu einer klinisch signifikanten Beeinträchtigung oder Störung führt“ und sich durch mindestens 2 von 11 Symptomen manifestiert, die innerhalb von 12 Monaten aufgetreten sind. Liegen 2-3 Symptome vor, so besteht danach eine leichte Cannabiskonsumstörung, bei mehr Symptomen entsprechend höhere Schweregrade. Zu diesen 11 Symptomen zählen beispielsweise (1) der Konsum von Cannabis in größeren Mengen, als es beabsichtigt war, (2) nicht erfolgreiche Versuche, den Cannabiskonsum zu reduzieren oder zu kontrollieren, (3) ein anhaltender Cannabiskonsum trotz anhaltender wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch den Cannabiskonsum verursacht wurden, und (4) die Entwicklung einer Toleranz, etc.

Schlussfolgerung

Für die Diagnose einer Cannabisabhängigkeit oder anderer gesundheitlicher Störungen im Zusammenhang mit der Verwendung von Cannabis spielt die Meinung des diagnostizierenden Arztes eine wichtige Rolle. Wenn der behandelnde Arzt der Auffassung ist, dass die Cannabisverwendung keine medizinische Legitimation hat, dann würde das Kriterium 1 nach der Definition der Cannabisabhängigkeit nach ICD-10 vorliegen. Nimmt also ein Patient Cannabis erfolgreich gegen seine Depressionen oder seine Schmerzen, dann wäre er eigentlich nicht abhängig. Wenn der behandelnde Psychiater allerdings der Auffassung ist, dass die Symptome bzw. die Erkrankung nicht durch Cannabis beeinflusst werden oder sogar der Cannabiskonsum die Ursache der Symptome sei, dann wird er eine Abhängigkeit diagnostizieren.

Die Diagnose einer Abhängigkeit oder anderer Substanzkonsumstörungen sagt daher leider häufig mehr über den behandelnden Arzt bzw. seine Vorurteile und Kenntnisse als über den behandelten Patienten aus.