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Cannabis-Arteritis: eine Krankheit, die es (wahrscheinlich) nicht gibt
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Kürzlich machte mich jemand auf einen Zeitungsartikel aufmerksam. In Australien sei ein Fall einer seltenen durch Cannabis verursachten Erkrankung bei einem jungen Mann diagnostiziert worden, nämlich eine Cannabis-Arteritis.
Der erste Bericht einer Arteritis, also einer Entzündung von Arterien, wurde 1960 in einer französischen Fachzeitschrift veröffentlicht. Dabei berichteten zwei französische Wissenschaftler über 29 Fälle aus den Regionen von Meknes und Casablanca in Marokko. In ihrem Artikel schrieben sie: „in der Tat denken wir, dass wir bestätigen können, dass diese Fälle von Arteritis mit dem Konsum von Cannabis indica verbunden sind. Diese Drogenpflanze wird in Marokko viel konsumiert.“ Der Begriff „Cannabis-Arteritis“ wurde dann 1971 von dem französischen Professor Gabriel Nahas in einem Brief an das New England Journal of Medicine geprägt. Nahas, der 2012 verstorben ist, war einer der engagiertesten Gegner der Verwendung von Cannabis für medizinische Zwecke und war bekannt für seine Dramatisierung der schädlichen Cannabiswirkungen. Zwischen 1999 und 2009 wurden weitere Fälle einer angeblichen Cannabis-Arteritis veröffentlicht. Die meisten Publikationen stammten aus Frankreich, zwei jedoch auch aus Deutschland, einer von der Universität Aachen und einer von der Universität Dresden aus den Jahren 2002 und 2005.
Die Autoren wiesen darauf hin, dass die Cannabis-Arteritis genauso oder ähnlich wie eine Thromboangiitis obliterans (TAO) aussieht. Diese Erkrankung wird auch nach Leo Buerger und Felix von Winiwarter, die die Erkrankung erstmals Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben hatten, auch Buerger-Syndrom oder Winiwater-Buerger-Ssyndrom genannt. Es handelt sich um eine Gefäßentzündung kleiner und mittelgroßer Arterien und Venen. Betroffen sind meistens die Beine, es können jedoch auch Arme bzw. Hände betroffen sein. Häufig handelt es sich um junge Männer mit starkem Tabakkonsum. Die Ursache der Erkrankung ist unbekannt. Man geht davon aus, dass es sich um ein Zusammenspiel von bestimmten Genen und Schadstoffen, insbesondere Nikotin, handelt. Die Erkrankung führt zu Durchblutungsstörungen, die mit Schmerzen einhergehen und zum Absterben von Zehen und Fingern und in etwa einem Drittel der Fälle sogar zu Amputationen der Beine führen können.
Im Jahr 2010 habe ich in der Fachzeitschrift Vasa eine ausführliche Übersicht über alle bis dahin in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Fälle veröffentlicht. Ich wollte die Hypothese untersuchen, ob eine Arteritis, die einer TAO ähnelt, durch Cannabis oder THC verursacht werden kann oder eventuell zumindest ein zusätzlicher Krankheitsfaktor sein könnte. Insgesamt konnte ich 15 Berichte mit 57 Fällen einer mit Cannabiskonsum assoziierten Arteritis und zwei weitere Fallserien, bei denen einige Patienten auch Cannabis konsumierten, identifizieren. Besonders auffällig war, dass die meisten, wenn nicht alle Erkrankten zusätzlich Tabak konsumiert hatten.
In meiner Schlussfolgerung hieß es: „Angesichts der Bedeutung von Tabak für die Entwicklung der TAO widerspricht es wissenschaftlicher Genauigkeit, wenn einige Autoren von Fällen einer so genannten Cannabis-Arteritis den gleichzeitigen Tabakkonsum in der Zusammenfassung ihrer Artikel nicht erwähnen [9,17,25,55]. Da zwei dieser Artikel in französisch [9] oder deutsch [25] veröffentlicht wurden, werden Untersucher, die diese Sprache nicht verstehen, in den vorgestellten Fällen nur über den Cannabiskonsum informiert.“
In der Zusammenfassung hatte ich geschrieben: „Die Hypothese, nach der Cannabis ein ursächlicher Faktor oder ein Co-Faktor der TAO oder einer der TAO ähnelnden Arteritis ist, wird durch die verfügbare Datenlage nicht unterstützt. Die Verwendung des Begriffs Cannabis-Arteritis sollte vermieden werden, bis oder sofern nicht weitere wissenschaftliche Unterstützung verfügbar ist.“
Nach der ersten Veröffentlichung aus dem Jahr 1960 und dem Aufgreifen des Themas durch Professor Nahas im Jahr 1971 wurden die nächsten Fälle erst 1999 veröffentlicht. Zwischen 1999 und 2010 waren es insgesamt 14 Fallberichte mit 28 Fällen. Seit 2010 wurde nach meiner Kenntnis kein einziger Fall einer so genannten „Cannabis-Arteritis“ veröffentlicht. Ich bin gespannt, ob der neue Fall aus Australien in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht wird – es wäre der erste seit 2010 – und ob auch dabei Tabak im Spiel war.
Einer meiner Patienten, der eine Ausnahmeerlaubnis von der Bundesopiumstelle zur Verwendung von Cannabisblüten besitzt, verwendet Cannabis gegen seine starken, sonst therapieresistenten Schmerzen aufgrund seiner Thromboangitis obliterans (Buerger-Syndrom). Früher war er ein starker Tabakraucher.