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Herausgeber
grow! Magazin

Psychose: Ursachen und Verlauf

Authors
Franjo Grotenhermen

Die Verwendung von Cannabis insbesondere in der Jugend ist vermutlich ein Risikofaktor für die Auslösung einer Psychose, insbesondere dann wenn eine genetische Vorbelastung und weitere Risikofaktoren vorliegen. Aber wie ist das Risiko durch Cannabis im Verhältnis zu möglichen anderen Risikofaktoren einzuschätzen?

Dieser Artikel befasst sich mit der Entstehung der Psychose und konzentriert sich auf Ergebnisse, die methodisch am glaubwürdigsten und in allen Studien konsistent sind.

Etwa einer von hundert Personen entwickelt im Laufe des Lebens eine Schizophrenie. Eine Verdopplung des Risikos durch Cannabis würde bedeuten, dass es in diesem Fall zwei von hundert Personen betroffen wären. Es gibt auch Untersuchungen, nach denen das Risiko bei stärkerem Cannabiskonsum auch bei 3 oder 4 Prozent liegen könnte. Es ist bisher nicht völlig geklärt, ob der Konsum von Cannabis das Risiko tatsächlich erhöht oder nur den Ausbruch der Erkrankung beschleunigt. Viele Studien haben gezeigt, dass das durchschnittliche Alter beim Ausbruch der Erkrankung bei Cannabiskonsumenten niedriger ist als bei Nichtkonsumenten.

Beginn der Schizophrenie

Das Auftreten der Schizophrenie verläuft unterschiedlich. In einer großen Studie hatten etwa 50 Prozent einen akuten Beginn und 50 Prozent einen langen Vorlauf mit immer stärker werdenden Symptomen bis zum Ausbruch der Erkrankung. 

Entwicklungsstörungen im Kindesalter

Viele Studien weisen auf eine Vielzahl von Anzeichen, Symptomen, Zuständen und Verhaltensweisen hin, die mit einem erhöhten Risiko für Schizophrenie verbunden sind, aber keine mit einer solchen Stärke oder Einzigartigkeit, die für die Vorhersage von Nutzen ist. Frühere Arbeiten an Hochrisikogruppen haben gezeigt, dass Nachkommen schizophrener Eltern im Vergleich zu Nachkommen von Kontrollpersonen mit höherer Wahrscheinlichkeit einen niedrigeren Intelligenzquotienten, schlechte Aufmerksamkeitsfähigkeiten, schlechte soziale Anpassung und psychiatrische Symptome aufweisen. Viele Studien haben gezeigt, dass sich Personen mit Schizophrenie bereits zu Beginn von ihren Altersgenossen unterscheiden, etwa hinsichtlich der geistigen Leistungsfähigkeit, der neurologischen Entwicklung, der sozialen Kompetenz und hinsichtlich psychischer Störungen.

Viele Erkenntnisse deuten auch darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen niedriger Intelligenz spezifisch für Schizophrenie ist, da dies bei der bipolaren Störung nicht gefunden wurde. Es ist bemerkenswert, dass es keine gemeinsamen kausalen Pfade zu geben scheint, die diese Entwicklungsmarker mit Schizophrenie verbinden 

Daten aus der neuseeländischen Geburtskohorte von 1972 bis 1973 zeigten, dass schizophrene Probanden in den ersten zehn Jahren ihres Lebens möglicherweise ein erhebliches Defizit an neuromotorischer, sprachlicher und geistiger Entwicklung erlitten haben. Die Beweise für eine Reihe von Entwicklungsstörungen im Kindesalter und Schizophrenie unterstützen die Hypothese, dass Schizophrenie eine neurologische Entwicklungsstörung ist, deren Ursachen möglicherweise auf einen Defekt in der frühen Gehirnentwicklung zurückzuführen sind.

Verlauf der Erkrankung

Der symptomatische Verlauf der Schizophrenie ist unterschiedlich. In einer großen Studie hatte ungefähr die Hälfte einen welligen Verlauf mit teilweisem oder vollständigem Verschwinden der Erkrankung, gefolgt von einem Wiederauftreten. Etwa ein Drittel hatte einen relativ chronischen Verlauf mit schlechtem Ausgang. Eine kleine Minderheit in dieser Studie zeigt ein stetiges Erholungsmuster mit gutem Ergebnis. Nach dem ersten Krankenhausaufenthalt wurden in einer großen Studie etwa 25 Prozent auch nach 15 Jahren nicht wieder in ein Krankenhaus eingeliefert. 

Risikofaktoren

Im Folgenden werden Risikofaktoren aufgeführt, die zumindest in mehreren glaubwürdigen Studien festgestellt wurden und in denen ziemlich klar ist, dass der Risikofaktor vor dem Ausbruch der Schizophrenie vorhanden war.

Jahreszeit der Geburt

Es ist seit langem bekannt, dass Personen mit Schizophrenie mit größerer Wahrscheinlichkeit im Winter geboren werden. Das relative Risiko ist gering und liegt in der Größenordnung von 10 Prozent für diejenigen, die im Winter oder Sommer geboren wurden. Eine Größenordnung von 10 Prozent klingt zunächst wenig. Da aber sehr viele Personen im Winter geboren werden, ist dieser Effekt durchaus relevant.

Geburtskomplikationen

Die Beobachtung bezüglich der Jahreszeit deutet darauf hin, dass bei Personen, die später eine Schizophrenie entwickeln, etwas während der Schwangerschaft oder der Geburt aufgetreten sein könnte. Es gibt seit Jahrzehnten Studien zu diesem Thema, aber die allgemein positiven Ergebnisse wurden durch die Möglichkeit getrübt, dass die Erinnerung der Mutter voreingenommen war. Es gab viele Studien, in denen eine Verdopplung des Risikos für Personen mit Geburtskomplikation angegeben wurde.

Zu diesen Geburtskomplikationen zählen Komplikationen der Schwangerschaft (Blutungen, Diabetes, Bluthochdruck, etc.), abnormales Wachstum und Entwicklung des Kindes (geringes Geburtsgewicht, angeborene Missbildungen, verringerter Kopfumfang) und Komplikationen bei der Entbindung (Sauerstoffmangel während der Geburt, Notfall-Kaiserschnitt).

Alter der Eltern

Die Rolle des fortgeschrittenen Elternalters in Bezug auf ein höheres Risiko für Schizophrenie wurde erstmals Mitte des 20. Jahrhunderts vorgeschlagen. Basierend auf den familiären Hintergrunddaten von 1000 Patienten im kanadischen Krankenhaus von Ontario berichtete eine Gruppe von Wissenschaftlern, dass die Eltern von Patienten mit Schizophrenie im Durchschnitt zwei bis drei Jahre älter waren als die der Allgemeinbevölkerung. Eine bevölkerungsbezogene Studie aus Israel ergab, dass das relative Risiko für Schizophrenie mit dem Alter der Väter monoton anstieg, mit maximalen relativen Risiko von 2,96 in der Gruppe der über 55 Jahre alten Väter im Vergleich zum Alter von 20 bis 24 Jahren. Das entspräche dann etwa dem Risiko, wie es dem Cannabiskonsum im Jugendalter zugeschrieben wird.

Sobald das väterliche Alter statistisch angepasst ist, ist das mütterliche Alter kein signifikanter Prädiktor für Schizophrenie mehr. Eine andere Studie hat gezeigt, dass das väterliche altersbedingte Risiko für Schizophrenie bei Frauen im Allgemeinen höher ist. Eine mögliche Erklärung sind Mutationen in den Spermien älterer Väter, die eine Schizophrenie begünstigen.

Infektionen und das Immunsystem

Eine Reihe von Studien deutet darauf hin, dass Personen, deren Mütter sich im zweiten Schwangerschaftsdrittel einer Grippeepidemie befanden, ein höheres Risiko für Schizophrenie haben . Die Infektion während der Schwangerschaft als Risikofaktor steht im Einklang mit der neurologischen Entwicklungstheorie der Schizophrenie. Die Infektion könnte Störungen der Entwicklung des Zentralnervensystems verursachen. Es gibt übereinstimmende Hinweise darauf, dass Personen, die eine Toxoplasmose durchgemacht haben, ein höheres Schizophrenierisiko aufweisen. Eine Studie weist auf ein relatives Risiko von 5,2 für Personen mit dokumentierter Infektion durch das Rötelnvirus während der Entwicklung des Fötus hin. In einer brasilianischen Studie wurden Personen, die während der Epidemie von 1971–1974 an Meningitis litten, mit ihren Geschwistern ohne Meningitis verglichen. Es wurde festgestellt, dass die Häufigkeit von Psychosen und Schizophrenie fünfmal höher bei denen war, die eine Meningitis hatten. Der Befund ist beeindruckend, da das durchschnittliche Alter der Infektion mit Meningitis 26 Monate betrug, also viel später als die vorgeburtliche Infektion während der Schwangerschaft. 

Autoimmunerkrankungen

Studien legen nahe, dass Personen mit Schizophrenie entweder eine ungewöhnliche Resistenz oder eine höhere Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen aufweisen. Sie haben beispielsweise durchweg gezeigt, dass Personen mit Schizophrenie mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit an rheumatoider Arthritis leiden. Es könnte sein, dass andere physiologische Konsequenzen vor Schizophrenie schützen, oder dass ein einzelnes Gen das Risiko für die eine Störung erhöht und vor einer anderen schützt.

Andere Autoimmunerkrankungen wurden mit Schizophrenie in Verbindung gebracht, einschließlich Schilddrüsenerkrankungen, Typ-1-Diabetes und Zöliakie. Derzeit gibt es die stärksten Hinweise auf Schilddrüsenerkrankungen und Zöliakie. In einer Studie aus Dänemark wurde bei Personen, deren Eltern Zöliakie hatten, später mit dreimal höherer Wahrscheinlichkeit eine Schizophrenie diagnostiziert. Zöliakie ist eine Immunreaktion gegen Gluten im Weizen. 

Die Ergebnisse, die Schizophrenie mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung bringen, werden durch die klinische und labortechnische Untersuchung von Autoimmunprozessen bei Schizophrenie ergänzt. Es gibt offensichtlich Abnormalitäten des Immunsystems bei Schizophrenie, aber es ist nicht klar, ob diese ursächlich sind oder eine Folge der Schizophrenie oder ihrer Behandlung. 

Ethnische Zugehörigkeit / Diskriminierung

Der ethnische Status ist ein relativ einfach zu identifizierendes Merkmal einer Person, das auf eine gemeinsame Geschichte mit anderen hinweist. Zu den Merkmalen des ethnischen Status gehören Rasse, Herkunftsland und Religion. Das Herkunftsland hat sich in Großbritannien und den Niederlanden als beständiger Risikofaktor für Schizophrenie erwiesen. In Großbritannien weisen Einwanderer aus Afrika oder der Karibik und ihre Nachkommen der zweiten Generation eine bis zu zehnmal höhere Schizophreniequote auf als die der Allgemeinbevölkerung. Da Einwanderergruppen ohne schwarze Haut keine höheren Raten aufweisen und da die zweite Generation betroffen ist, ist es unwahrscheinlich, dass das erhöhte Risiko auf einer Belastung durch die Einwanderung auftritt. Da die Raten in den Herkunftsländern nicht erhöht sind, ist es unwahrscheinlich, dass es sich um einen genetischen Unterschied zwischen den Rassen handelt. Die Ursache scheinen die psychischen Zustände zu sein, die damit verbunden sind, dass man in England schwarz ist oder aus Surinam in Holland kommt. Es könnte sich um Diskriminierung oder eine subtilere Form von Schwierigkeiten im Alltag handeln.

Leben in der Stadt

Bereits in den 1930er Jahren zeigten Forscher aus den USA, dass, während die Adressen der Erstaufnahmen für manisch depressive Erkrankungen mehr oder weniger zufällig in Chicago verteilt waren, die Einweisungen für Schizophrenie in der Regel aus der Innenstadt kamen. Dieser Befund und andere ähnliche Befunde wurden als Folge der Selektion von Personen in die Stadt interpretiert, die eine Schizophrenie entwickeln würden. Spätere Studien aus Europa zeigten, dass das Risiko für in städtischen Gebieten Geborene etwa 2–4-mal höher ist als bei Personen, die auf dem Land geboren waren. Die Schwierigkeit besteht darin, den plausiblen biologischen Prozess zu identifizieren, der mit dem Leben in der Stadt verbunden ist. 

Schlussfolgerung

Die Schizophrenie-Forschung zeigt, dass eine Anzahl von Faktoren das Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie erhöhen kann. Dazu zählen eine genetische Veranlagung, Ereignisse während der Schwangerschaft und der Geburt, wie etwa Infektionen im Mutterleib und Sauerstoffmangel, eine erhöhte psychische Belastung, wie sie mit Diskriminierung einhergehen kann, Geburt im Winter, fortgeschrittenes Alter der Väter und Aufwachsen in der Stadt. Nicht immer ist klar, wie der beobachtete Risikofaktor das Schizophreniesrisiko erhöht.

Für jemanden, der sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit Cannabis befasst, ist vor allem die unterschiedliche öffentliche Wahrnehmung der Bedeutung dieser Risikofaktoren auffällig. Während es viele warnende Stimmen gibt, dass Menschen kein Cannabis konsumieren sollten, weil Cannabis Psychosen verursacht, fehlen Warnungen an Eltern, ihre Kinder nicht in der Stadt aufwachsen zulassen und aufs Land zu ziehen, weil das Stadtleben Psychosen verursacht. Das vermutete erhöhte Risiko ist jedoch für beide Faktoren, Cannabiskonsum und Stadtleben, gleich hoch.

Literatur:

Messias EL, Chen CY, Eaton WW. Epidemiology of schizophrenia: review of findings and myths. Psychiatr Clin North Am. 2007 Sep;30(3):323-38.